Delfine helfen Fischern

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Es ist eine sehr alte Tradition. Und es gibt wohl kaum einen Delfinfan, der diese faszinierende Geschichte von artübergreifender Kooperation nicht kennt: die der Delfine, die den Fischern von Laguna in Südbrasilien beim Fischfang helfen. Doch die Tradition scheint dem Untergang geweiht, wie Forschende in einer Ende Januar 2023 in PNAS veröffentlichten Studie1 befürchten. Denn die Bestände der beiderseits begehrten Beute, Meeräschen (Mugil liza), schwinden.

Fischen mit Delfinen: eine alte Tradition in Brasilien
Alte Tradition in Brasilien: Delfine helfen Fischern beim Fang von Meeräschen mit Wurfnetzen (Tarrafas). © Fabio Daura-Jorge

Fischen mit Delfinen – Fishermen’s Friends

Nur ein schmaler Durchgang trennt die Santo-Antonio-Lagune im Süden Brasiliens vom Atlantik. Als ob die Großen Tümmler das wüssten, treiben sie Meeräschenschwärme dort hindurch in die Lagune. Sobald die Fischer Delfine erblicken, machen sie sich bereit zum Fischen mit ihren Wurfnetzen, Tarrafas auf Brasilianisch. Diese werden von den mitunter fast bis zum Bauch im Wasser stehenden Fischern oder auch vom Boot aus per Hand ausgeworfen. Sie landen kreisförmig auf dem Wasser, Bleigewichte ziehen sie nach unten und umschließen die Beute.

Langzeitstudien: Delfine helfen Fischern

Bereits seit 2007 untersuchen Forschende dieses Zusammenspiel zwischen Mensch und Delfin. Das Team um den Biologen und Leiter der Studie Mauricio Cantor führte zudem zwischen 2004 und 2019 zu vier verschiedenen Zeitpunkten Interviews mit 177 erfahrenen Tarrafa-Fischern durch. Daneben kamen verschiedene Hilfsmittel und Methoden zum Einsatz, wie Drohnen, Unterwasserkameras, Hydrophone zur Aufzeichnung der Delfinkommunikation während der Jagd sowie Fotoidentifikation zur Erkennung von Individuen. Dabei wird die Rückenflosse (Finne) fotografiert und katalogisiert, denn sie ist sozusagen der Fingerabdruck des Delfins und bei jedem Tier genauso einzigartig.

Präzises Timing

Cantor und sein Team fanden Erstaunliches heraus: Nur wenn das „Fine Tuning“ stimmt, profitieren beide Seiten vom gemeinsamen Fischfang. Also nur, wenn die Fischer ihre Netze nach dem „Go-Signal“ der Delfine auswerfen, fangen sie ungefähr viermal so viel wie bei einem Fang, bei dem sie den richtigen Zeitpunkt verpassen. Das Signal besteht in einem plötzlichen tiefen Abtauchen der Delfine (siehe Video).

Der richtige Zeitpunkt zum Netzauswurf ist entscheidend, damit es ein richtig großer Fang für die Fischer wird: das Abtauchen der Delfine mit einer deutlich sichtbaren Rückenkrümmung. Dies ist das häufigste körpersprachliche Verhaltenssignal der Großen Tümmler beim gemeinsamen Fischfang. © Fabio Daura-Jorge

Delfine helfen Fischern – und wie profitieren die Delfine?

Auch für die Tümmler fällt bei der Gemeinschaftsjagd mehr Beute ab. Sie profitieren davon, dass sich der Fischschwarm durch den Netzwurf auflöst und sich die zerstreute Beute leichter fangen lässt. Gelegentlich schnappen sie sich auch einen Happen aus dem Netz. So berichten 62 Prozent der befragten Fischer, dass die Delfine warten, bis sich die Tarrafa am Meeresboden schließt. Dann würden die gewitzten Meeressäuger die Gewichte des Netzes anheben, um sich ein oder zwei Fische zu stibitzen.

Das Wurfnetz wird ausgeworfen

Wenn die Tarrafa ausgeworfen, mit den Bleigewichten nach unten gesunken und die Beute im Netz ist, genehmigen sich die Delfine auch mal einen Happen aus dem Netz: Dabei heben sie die Gewichte vom Meeresgrund und greifen sich ein oder zwei Fische. © Fabio Daura-Jorge

Wer sind die tierischen Helfer?

Bei den Großen Tümmlern von Laguna handelt es sich um eine knapp 60 Individuen umfassende Population der erst 2019 als solche anerkannten Unterart Tursiops truncatus gephyreus, die Lahille-Tümmler. Die Unterart bewohnt die Küstengewässer von Südbrasilien, Uruguay bis nach Patagonien in Argentinien. Ihre Lebensräume sind flache Buchten, Lagunen und Flussmündungen. Sie schwimmen sogar erhebliche Strecken flussauf. Insgesamt soll die Unterart nur rund 360 erwachsene Tiere umfassen. Sie gilt als gefährdet.

Arbeitstypen: von Teamplayer bis Einzelkämpfer

Nicht alle Delfine der Laguna-Population sind teamorientiert. Je nach Häufigkeit der Zusammenarbeit mit den Fischern unterteilten die Forschenden in sie in drei Kategorien. Bildlich gesprochen in Teamplayer, die sehr häufig mit den Fischern kooperieren. Dann gibt es eine Art Gelegenheitsarbeiter, also Delfine, die sich weniger häufig an der gemeinsamen Jagd beteiligen. Und schließlich Einzelkämpfer, die alleine jagen.

Brasilien: Delfine helfen Fischern
Nicht alle Delfine der Laguna-Population sind Teamplayer. © Fabio Daura-Jorge

„Tümmler-Arten aus der Gattung Tursiops sind bekannt dafür, dass sie sich flexibel veränderten Umweltbedingungen anpassen können. Dies zeigt sich besonders deutlich bei der Entwicklung unterschiedlicher Jagdstrategien innerhalb einer bestimmten Gruppe oder Population. Dabei bilden sich auf spezielle Jagdtechniken spezialisierte Untergruppen. Aus diesen können wiederum einige Tiere zu Super-Spezialisten werden. Ihre Fähigkeiten geben sie von Generation zu Generation als kulturelles Erbe weiter. Wenn sich die Umweltbedingungen ändern, verschwinden diese speziellen Verhaltensweisen wieder. Die Kultur stirbt aus.“

Ulrich Karlowski, Biologe von der Deutschen Stiftung Meeresschutz

Höhere Überlebenschancen für Delfine, die Fischern helfen

Ein weiterer Vorteil für die Teamplayer ist eine um 13 Prozent höhere Überlebenschance im Vergleich zu den nicht kooperierenden Delfinen. Da ihr Jagdrevier kleiner ist, ist auch die Gefahr, sich in einem der illegal aufgestellten Netze, wie Trammel- oder Stellnetze, zu verstricken, geringer. Allein jagende Artgenossen dagegen haben ein 3,3 Mal höheres Risiko, als Beifang zu sterben. Der Beifangtod in den illegal aufgestellten Fischernetzen ist sogar ein Hauptgrund der Delfinsterblichkeit in der Lagune, sagen die Forschenden.

Beliebte Beute

Die Meeräschenfischerei spielt in Südbrasilien eine wichtige Rolle. Die Art wird nicht nur handwerklich, sondern auch intensiv mit industriellen Fangmethoden befischt. Mangels Management gilt der regionale Meeräschenbestand bereits seit 2004 überfischt. Die Fischart macht mit mehr als 75 Prozent auch den Hauptbestandteil der Beute der Großen Tümmler in Südbrasilien aus.

Delfine helfen Fischern: wie lange noch?

Die artübergreifende Kooperation beim Tarrafa-Fischfang soll bereits seit mehr als 140 Jahren existieren, manche Autoren sprechen sogar von 170 Jahren. Die Tradition wurde von Generation zu Generation weitergegeben – sowohl bei den Fischern als auch bei den Delfinen, die ihnen helfen. Und es gibt im Lagunen-Komplex von Laguna noch wenigstens fünf weitere Stellen, an denen Delfine Fischern mit Wurfnetzen regelmäßig helfen, sowie zwei bis vier weitere Orte außerhalb Lagunas. Doch mit dem anhaltenden Bestandsrückgang von Meeräschen droht diese einzigartige Form der Mensch-Tier-Kooperation auszusterben.

Wenn sie Delfine erblicken, machen sich die Fischer bereit zum Auswurf der Netze
Sobald Delfine gesichtet werden, machen sich die Fischer bereit: Denn dann ist die Beute im Anmarsch! © Fabio Daura-Jorge

Als Folge des Beuteschwunds fände der gemeinsame Fischfang seltener statt, die Fischer würden vermehrt auf beifangträchtige Fangmethoden ausweichen. Damit stiege auch das Risiko für die kleine Population der Laguna-Delfine, als Beifang zu sterben.

Kulturelles Erbe schützen

„Wir arbeiten daran, diese seltene Mensch-Tier-Kooperation als immaterielles Kulturgut sowohl auf regionaler als auch auf internationaler Ebene schützen zu lassen“, erklärt Mauricio Cantor. Außerdem plädieren die Autoren dafür, die Meeräschenfischerei zu regulieren und härter gegen die illegale Fischerei durchzugreifen. Ebenso schlagen sie vor, auf traditionelle Art gefangene Meeräschen höher zu bepreisen.

Mit diesen Maßnahmen bestehen gute Chancen, dass auch in Zukunft Fischer mit den Lahille-Tümmlern aus Laguna gemeinsam Meeräschen fangen werden.

1 Mauricio Cantor, Damien R. Farine, Fabio G. Daura-Jorge. 2023. Foraging synchrony drives resilience in human-dolphin mutualism. Proceedings of the National Academy of Sciences of USA. https://doi.org/10.1073/pnas.2207739120

Ulrike Kirsch im Februar 2023

Titelfoto: © Fabio Daura-Jorge


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